Agilität ist eines DER Modewörter der jüngsten Wirtschafts- und Digitalisierungsgeschichte und wird inflationär in diversen Zusammenhängen verwendet. Beinahe alles muss heutzutage agil sein. Und im Netz finden sich Stimmen von Propheten, die zu wissen glauben, dass ohne Agilität jedes Business dem Tod geweiht sei. Zeit also für eine kleine ‚Charakteranalyse’ von Madame Agility.
Eine knappe Internetrecherche zeigt, dass hinter Agilität offensichtlich mehr steckt als nur ein Schlagwort. Die Bedeutung des Begriffs scheint vielschichtiger zu sein, als er normalerweise in den Medien so rasch eingeworfen wird. Denn Agilität ist wie das feine Spinnennetz, das verästelt, hauchdünn und ganz harmonisch im Wind hin- und herwiegt und doch so stark jedem Wetter trotzt. Von Frank Weber lernen wir, dass Agilität nur funktioniert, wenn agile Instrumente akzeptiert und die Prozesse in der Firma agil gelebt werden. Es braucht also gemäss Weber im Unternehmen ein „Verständnis für die Wirkweise agiler Instrumente“ – denn nur so kann die Firma tatsächlich agil werden. Weber führt weiter aus: „Agilität ist eine Grundhaltung. Agilität ist die Fähigkeit, Stabilität und Flexibilität in die richtige Balance zu bringen.“
So zeigt uns Weber auf, dass Agilität unweigerlich mit der Firmenkultur und somit mit jedem einzelnen Mitarbeiter, jeder einzelnen Mitarbeiterin verwoben ist. Agilität entsteht demnach in den Organisationen, die den Mut und das nötige Mindset haben, ihr Verhalten auf den vier Grundwerten des agilen Manifestes zu basieren. Gemäss Weber heisst das: „mehr Fokus auf Individuen und Interaktionen zu legen als auf Prozesse und Werkzeuge. Mehr auf Veränderungen zu reagieren, als weiter einen Plan zu verfolgen. Mehr mit Kunden zusammenzuarbeiten, statt Verträge zu verhandeln. Mehr auf funktionsfähige Produkte zu setzen als auf ausgedehnte Dokumentation.“ Wir streben hier also nach einem tiefgreifenden Wandel in der Arbeits- und Wirtschaftswelt und es ist leicht vorstellbar, dass sich nicht jede Organisation dazu eignet, diesen Wandel erfolgreich mitzumachen. Denn Agilität beginnt –wie wir bereits gelernt haben- im Kopf jedes einzelnen und ist letztlich ein Produkt der Führungs- und Unternehmenskultur.
Frau Hofert bringt es in ihrem Beitrag „Warum nicht jedes Unternehmen sofort agil werden muss“ auf den Punkt: „Ernsthafte Veränderungen brauchen Erschütterungen, Krisen und eine Dekonstruktion des Alten. Wer dazu nicht bereit ist oder den guten Grund nicht findet, ist auf Evolution angewiesen. Viele wollen Agilität als Speerspitze für sehr allgemeine Probleme nutzen. Sie wollen damit etwas bekämpfen, das meist mit schlechter Führung und digitaler Einfallslosigkeit zu tun hat. Es herrscht der Irrglaube vor, mit Agilität liessen sich sämtliche Probleme zwischenmenschlicher Natur, auch die lästigen kleinen Alltagskonflikte, endlich lösen. Es stecken auch viele Erwartungen in Agilität – zum Beispiel, dass es etwas Neues sei und sich auf wenige Handgriffe reduzieren liesse."
Heisst soviel wie: wenn es keine wirkliche Vision gibt, oder die Vision nicht mit Lust an Begegnungen und am gemeinsamen Lernen von der Belegschaft gelebt wird, ist Agilität im eigenen Unternehmen nicht überlebensfähig. Agilität lässt sich nicht mit einem Top – Down Prozess im Unternehmen installieren und Agilität ist auch kein Konzept mit dem man eine schlechte Führung, Fantasielosigkeit in der digitalen Strategie oder generell Manager auffangen kann, die sich nicht für Menschen sondern ausschliesslich für theoretische Methoden interessieren.
Auch Herr Roock hakt mit seinem Beitrag „Agilität bedeutet, dem Kontrollwahn ein Ende zu bereiten“ genau hier ein.
„Agilität (...) schafft weder Abgrenzungen noch Kontrolle im klassischen Sinne. Agilität zu verbreiten bedeutet Mauern einzureissen. Die agilen Kernideen machen es sehr einfach:
Bilde interdisziplinäre Teams und lass sie die Probleme der Endkunden lösen. Dazu haben sie direkten Endkundenkontakt. So verstehen die Mitarbeiter die Probleme und Bedürfnisse der Kunden wirklich und liefern Lösungen direkt an sie. Die agilen Teams lösen die Probleme der Endkunden möglichst schnell und ohne Verzögerungen. Sie arbeiten dazu selbstorganisiert und autonom (keine Abhängigkeiten). Und da die heutigen Probleme nicht so einfach zu lösen sind, arbeiten die Teams in kurzen Zyklen, um Arbeitsschritt für Arbeitsschritt kontinuierlich zu lernen und zu überprüfen, wie die Lösung und der Weg zur Lösung optimal aussehen. So begeistern agile Teams sowohl ihre Endkunden wie auch die eigenen Mitarbeiter.“ Agilität braucht also Platz, Zeit und Geld und entsteht u.a. dort, wo empathische und charismatische Führungspersonen Mitarbeitende auf sympathische Weise begeistern, aufwecken und mitreissen können. Hier ist Experimentierfreudigkeit gefragt kombiniert mit der Bereitschaft, eine andere Denk- und Handlungslogik zu leben und ein offenes Ohr für die Anliegen der Kunden zu haben. Und es hilft nichts, einzelne neue Digitalisierungsabteilungen agil zu gestalten, wenn der Rest des Wagens das neue Denken nicht mitträgt und –lebt.
So wissen wir nun also, dass Madame Agility mitunter launisch sein kann. Aber wenn sie ihr Umfeld mag und merkt, dass alle auch sie mögen, dann entwickelt sie sich zu einer regelrechten Powerlady.
Dieser Beitrag wurde von Matthias Hungerbühler gepostet.
Quellen
Svenja Hofert: „Warum nicht jedes Unternehmen sofort agil werden muss“
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