Risikomanagement und IT-Regulatorik: Unsere Teilnahme an der Fachtagung im bayerischen Freising

Seit nunmehr 5 Jahren trifft sich eine Gruppe vorwiegend eigenständiger, mittelständischer deutscher Banken im oberbayerischen Freising für einen mehrtägigen Austausch rund um die Themen Gesamtbanksteuerung und Risikocontrolling, Revision und Compliance. Wissenschaftlich begleitet wird die halbjährlich stattfindende Tagung von Professor Stefan Zeranski, der ein enzyklopädisches Wissen über aktuelle regulatorische Anforderungen mit dem Sinn für’s Wesentliche kombiniert.
Für die Präsentation unserer Studienergebnisse unter Anwendung der Software cysmo aus dem Hause PPI (wir berichteten) durften wir als einzige Nicht-Bank am vertrauten Seminar teilnehmen.

Welche Anforderungen, aber auch Chancen werden von den Teilnehmern in diesen Bereichen gesehen? Unter den zahlreichen Regularien und Vorschriften, die über Bafin, EBA, EZB und andere Aufsichten gestellt werden – es handelt sich um viele hundert Seiten pro Jahr – sticht das Thema IT-Regulatorik heraus. Im Speziellen erschienen als Konkretisierung der deutschen MaRisk bzw. als Reaktion auf die EBA ICT Guidelines im vergangenen Jahr die BAIT (Bankaufsichtliche Anforderungen an die IT). Dieser kurze Text, von der Bafin als blosse Konkretisierung betrachtet und daher ohne Übergangsfrist umzusetzen, führte zu intensiven Gesprächen unter den Teilnehmenden. Einige Institute konnten schon über Erfahrungen bei der IT-Tiefenprüfung berichten, die in teils signifikanten Risiko-Aufschlägen resultierten.

Aber worum geht es in den BAIT? Der Text befasst sich detailliert mit Berechtigungsmanagement und IT-Betrieb, Informationsrisikomanagement und Auslagerungen. Eine Dokumentenflut trifft die Institute, da gezielte IT-Sicherheitsstrategien und Governance-Regeln im Einklang mit der Geschäftsstrategie zu formulieren sind. Das klingt alles reichlich formal, jedoch verdeutlicht die Intensität und Rigorosität der aufsichtlichen Prüfungen, wie ernst das Thema IT-Sicherheit genommen wird. Dabei gilt, wie eine Teilnehmerin anmerkte: „Man kann sich vorbereiten wie man will, man wird trotzdem kalt erwischt”. Oder überwacht und updated Ihr Haus regelmässig die ausgelagerten IT-Dienstleistungen und berücksichtigt diese Auslagerungsfälle im Risiko-Management? Haben Sie alle IDVs sauber dokumentiert, versioniert und Verantwortliche benannt?

Ähnliche Anforderungen gelten über die Corporate Governance- und OpRisk-Neufassungen auch immer mehr in der Schweiz. In der diesjährigen Jahresmedienkonferenz stellte Finma-Direktor Branson fest, dass Cyber-Risiken das grösste OpRisk für Banken sind. Seine deutschen Kollegen pflichten bei, dass „IT-Governance und Informationssicherheit für die Aufsicht inzwischen den gleichen Stellenwert haben wie die Ausstattung der Institute mit Kapital und Liquidität (Bafin: BAIT: BaFin veröffentlicht Anforderungen an die IT von Banken). Man ergänze gedanklich: «... und wird daher ebenso streng kontrolliert wie diese.» Gleichzeitig gelten in einer real-time economy auch immer strengere Vorschriften für Datenaggregation, -Qualität und Reporting. Es ist also anzunehmen, dass IT-Themen im Fokus der Aufsicht bleiben, selbst wenn der Zenit der regulatorischen Kreativität langsam erreicht scheint.

Das zumindest war der Konsens der anwesenden KMU-Banken. Einerseits sind deren IT-Systeme weniger fragmentiert als bei vielen grossen, andererseits fällt es besonders ihnen schwer, entsprechendes Know-How zu gewinnen. Insofern könnte die IT-Regulatorik auch als Katalysator für die Konsolidierung im Finanzsektor wirken oder zumindest als Anreiz, Kooperationen konkreter ins Auge zu fassen. Dies zeigte auch unsere Analyse mit cysmo®: Kleine Genossenschaftsbanken und Sparkassen sind bedeutend besser gegen Cyber-Angriffe geschützt als gleich grosse, aber eigenständige Banken. Immer zentraler wird es auch bei den ohnehin anstehenden Modernisierungen der IT-Landschaften, Mehrwerte zu generieren. Schliesslich teilen sich die deutschen Banken bei der Eigenkapitalrendite mit Griechenland, Portugal und Zypern die letzten Plätze in der Währungsunion!

Es bleibt also spannend für die vielen mittelgrossen Banken in Deutschland, aber auch für die Konkurrenz in der Schweiz. Sehr hilfreich ist es vor diesem Hintergrund, in geschütztem Umfeld Klartext reden zu können. Wie spannend das ist konnten wir in Freising bestaunen.

Dieser Beitrag wurde von Sebastian Strub verfasst.

#Regulation #PPIonTour #cysmo

Die Frage ist nicht «ob», sondern «wann»... – PPI Frühstücks-Event SWIFT gpi

Wir freuen uns es immer wieder zu schaffen, relevante Themen des ZVs mit den richtigen Ansprechpartnern zu bearbeiten. So geschehen am 13.11. Restaurant „Au Premier“ am Zürcher
Hauptbahnhof an unserem exklusiven PPI Frühstücks-Event, diesmal zum Thema SWIFT gpi. Vertreten waren sowohl Grossbanken, als auch Kantonal- und Privatbanken verschiedenster Grösse aus der Schweiz und Liechtenstein, um bei Kafi und Gipfeli den Vorträgen zu folgen, zu diskutieren und Erfahrungen auszutauschen. 

Nach einer bereits sehr gesprächsreichen Ankunftsphase wurde das Event offiziell mit einer Begrüssung der Teilnehmer und Vorstellung unserer Speaker Roger Inderbitzin (SWIFT) und Natalia Blatter (UBS) eingeleitet. Roger stellte daraufhin in seinem 30-minütigen Vortrag als Erstes den Service SWIFT gpi sowie dessen dazugehörigen Kernkomponenten (Tracker, Observer, Directory) inklusive deren Funktionsweise und den Hintergründen vor. Neben den Anforderungen von Corporates erklärte er hierbei auch umfassend, welche Benefits sich für den Bankensektor ergeben und warum eine Teilnahme für Banken nicht nur als «nice to have» zu sehen ist. Dass dieses Verständnis bereits im Bankensektor angekommen ist, belegte er mit imposanten Zahlen und Statistiken. So sind bereits 1 Jahr nach Einführung mehr als 85 Finanzinstitute live. Über 295, davon 49 der 50-Top-Banken, die sich zur Einführung des «neuen» Service bekannt haben. Auch die Abdeckung von 35% der grenzüberschreitenden MT103, welche bereits als gpi-Zahlungen prozessiert werden, sind für diesen doch recht kurzen Zeitraum ein sehr deutliches Signal, in welche Richtung sich der grenzüberschreitende Zahlungsverkehr zukünftig bewegt. Weiterführend wurden sowohl die (zumindest auf die Rahmenbedingungen bezogen) recht simplen Teilnahmemodalitäten, nämlich die der Unterwerfung dreier Rulebooks (gCCT, gCOV und gSRP), als auch Ansätze und Möglichkeiten der Umsetzung (taktisch/strategisch) näher erläutert. Auch eigentlich ursprünglich nicht vorgesehene, zusätzliche Möglichkeiten wie beispielsweise das Tracking nationaler Zahlungen (von SWIFT als sogenanntes «domestic lag» bezeichnet) wurden hierbei hervorgehoben. 

Es folgte der Ausblick auf weitere von SWIFT geplante Services. Neben der MX Migration, gpi for Securities oder gpi for Corporates wurde besonders der Pre-Validation Service hervorgehoben. Dieser kann mittels API in den Kundenportalen eingebunden werden und bietet Kunden die Möglichkeit, Zahlungen vor Ausführung sowohl auf Korrektheit zu prüfen, als auch voraussichtliche Leitwege, Kosten und Dauer der Zahlung transparent darzustellen. Ein weiterer, gerade für kleine Banken sehr interessanter Punkt war die Vorstellung des «Tracker for all», welcher aller Voraussicht nach ab 2019 kostenfrei angeboten wird. Auch wenn die eigentlichen Mehrwerte von SWIFT gpi hierbei ausgeschlossen sein werden (lediglich «light-Version» via GUI), bietet sich dennoch die Möglichkeit, aufgrund der zukünftigen Nachverfolgbarkeit aller Zahlungen, eine vereinfachte Zahlungsrecherche durchführen zu können. Nichtsdestotrotz stellte Roger auch klar, dass SWIFT den Auftrag hat, gpi als «new norm» bzw. «the new normal» im internationalen Zahlungsverkehr zu setzen und infolgedessen auch nichtteilnehmende Banken ab voraussichtlich 2020 unter anderem Empfangs- bzw. Eingangsbestätigungsmeldungen absetzen müssen. Ein weiterer Grund sich rechtzeitig mit der Materie zu befassen und, um neben den Aufwänden auch die Potentiale nutzen zu können, über eine Einführung von SWIFT gpi nachzudenken.

Trotz der intensiven Diskussionen und Gespräche, die bereits während unserer anschliessenden kurzen Erfrischungspause entstanden sind, konnten wir unschwer die Aufmerksamkeit unseres Auditoriums auch für den zweiten Teil unserer Veranstaltung wiedergewinnen. Natalia beleuchtete in ihrem Vortrag die Erfahrungen und Gedanken, die sich UBS als erste (richtige) Schweizer Bank, welche mit gpi live gegangen ist, gemacht hat. So berichtete sie, dass das Schweizer Clearing-System (SIC) vollständig gpi kompatibel ist und erläuterte die bereits von Roger erwähnte Möglichkeit, neben dem Tracking von grenzüberschreitenden Zahlungen auch den nationalen Zahlungsverkehr durch entsprechende Meldungsabgaben und Handlungsweisen nachverfolgen zu können. Somit besteht die Möglichkeit (optional) die Vorteile von SWIFT gpi auch auf nationale Zahlungen anzuwenden. Ein Mehrwert mit riesigem Potential, welcher aber ebenfalls nur den an SWIFT gpi teilnehmenden Banken zur Verfügung steht. Auch das diesjährige, sehr umfangreiche SWIFT Standard-Release und die Vorteile, die sich hieraus für alle gpi-Banken ergeben, wurden tiefgründig beschrieben. Für Banken, welche SWIFT gpi nicht oder noch nicht umsetzen, stellt sich hierbei die Frage, ob und wie lange es sinnvoll ist Aufwände betreiben zu müssen, ohne das zugehörige Potential heben zu können. Gerade im Hinblick auf die Pläne von SWIFT, dass ab voraussichtlich 2020 jede Bank Statusmeldungen absetzen können muss (Zahlungsempfang), erreicht diese Frage ein ganz neues Niveau, denn die Umsetzung der Statusmeldungen war gemäss Natalia das Aufwendigste und Komplexeste der ganzen Einführung von SWIFT gpi. 

Ihre Ausführungen zu den Usecases und den Gründen, warum jede Bank sich ernsthaft mit der Einführung von gpi auseinandersetzen muss, resultierten recht schnell in dem klaren Ergebnis, dass sich für Banken, die diesen Markt zukünftig noch bedienen wollen, nicht mehr die Frage stellt ob sie SWIFT gpi einführen, sondern wann. Je länger man wartet, desto grösser werden der Aufwand, die Kosten und der Abstand zum «State of the Art» und damit zur Markttauglichkeit. Abschliessend stellte Natalia den aktuellen Umsetzungsstand sowie die weiteren Pläne der UBS vor und lud alle Teilnehmer ein, gemeinsam mit SWIFT gpi in die Zukunft des internationalen Zahlungsverkehrs einzusteigen.

In der folgenden Diskussions- und Fragerunde tauschten die Teilnehmer ihren aktuellen Stand zu SWIFT gpi aus. Herwig Ganz teilte in der Diskussionsrunde nochmals die Erfahrungen der kurz vor dem «going live» stehenden Crédit Suisse und bestätigte Natalia nachdrücklich in ihren Empfehlungen, sich dringend mit der Einführung auseinanderzusetzen. Alternativ bleibt eine Entscheidung zu treffen, den internationalen Zahlungsverkehr entsprechend auszulagern bzw. abzutreten, was im Übrigen ebenfalls nicht unerhebliche Aufwände und teils komplexe Fragestellungen mit sich bringt. Entscheidend für eine erfolgreiche Marktpositionierung und mit eine der grössten Schwierigkeiten ist die richtige Priorisierung und Koordination aller derzeit laufenden und anstehenden Themen im Zahlungsverkehr. Nur einer der vielen Bereiche, bei denen wir Sie unter anderem mit unserem Priorisierungsnavigator und unseren Beratungsleistungen unterstützen können.

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Es hat sich wieder mehr denn je gezeigt, wie wichtig es ist, bankübergreifend Themen zu besprechen und zu behandeln. Von der Einführung und Umsetzung von SWIFT gpi können alle Banken profitieren, somit ist es auch wenig verwunderlich, dass die bisherigen Erfahrungen der teilnehmenden bzw. umsetzenden Banken weit weg von einem Konkurrenzdenken sind. Mit gpi hat sich eine starke und eingeschworene Gemeinschaft entwickelt, welche von einem so noch nie dagewesenen Austausch und Miteinander profitiert. Eine sehr eindrückliche Erfahrung, die unsere Teilnehmer an unserem Frühstücks-Event machen durften. An dieser Stelle nochmals einen herzlichen Dank an unsere Referenten Roger Inderbitzin und Natalia Blatter sowie an unsere Teilnehmer für ein für alle sehr bereicherndes und gelungenes Event.

Dieser Beitrag wurde von David Lehr verfasst.

#SWIFTgpi #ZVFrühstück

Wenn die Kuh sich selber melkt

In unserer Reihe „Digital-Talk“ unterhalten wir uns mit Menschen, die die Digitalisierung als Chance sehen und ihr (Berufs-) Leben entsprechend verändern. Uns interessieren die Beweggründe, die aus diesen Menschen Visionäre machen. Die digitale Transformation wird dann greif- und erlebbar, wenn man sich mit den Individuen beschäftigt, die sie leben. 

Wir sind heute zu Gast auf dem Hof Hinterburg von Adrian Haggenmacher in Meilen.

Guten Tag Adrian. Dein Hof funktioniert in vielen Belangen anders als ein herkömmlicher Bauernhof. Was erwartet mich hier und was war der Auslöser, den Hof so zu gestalten wie er heute ist?
Mir wurde dieses Denken in die Wiege gelegt, schon mein Grossvater und mein Vater waren der Zeit stets etwas voraus und liessen sich von neuen Herangehensweisen oder Technologien inspirieren. Dementsprechend werden wir einen hoch technisierten Milchviehstall sehen mit diversen Robotern (lacht). 

Du hast einen Teil deiner Ausbildung in der Westschweiz genossen und warst 2 Jahre in Kanada und Australien, um Englisch zu lernen. Hat dir der Auslandaufenthalt die Augen geöffnet, wie man Landwirtschaft vielleicht auch betreiben kann?
Das war ein wesentlicher Teil. Also in der Lehre, da war ich vielleicht zu jung, da war es noch schwierig die grösseren Zusammenhänge zu verstehen. Aber vor allem Kanada und Australien haben mich intensiv geprägt. Ich erfuhr dort aus erster Hand, dass es auch anders geht. Vieles von dem, was ich dort gesehen hatte, kann ich jedoch leider nicht übernehmen. In Australien hatten wir zum Beispiel 500 Hektare mit 300 Kühen auf einem Steppenboden..., das ist eine ganz andere Landwirtschaft als bei uns. Dennoch beeindruckte mich das nachhaltig. Und es führte dazu, dass ich bis heute neugierig bin und spannende Entwicklungen in diesem Bereich interessiert verfolge. 

Du hast den Hof 2010 übernommen und 2015 mit dem Bau des neuen Milchviehstalles begonnen. Wie schwierig war es, deine Eltern und (vielleicht auch die Bank) von dem neuartigen Konzept zu überzeugen? 
Finanziell wurde ich für den Neubau von meinen Eltern unterstützt. Da war ich zum Glück unabhängig vom Goodwill einer Bank. Vom Konzept her hatten mein Vater und ich eigentlich ähnliche Vorstellungen. Diskussionen gab es aber dennoch. Ich wollte unser Konzept, dass die Kuh möglichst selber entscheiden kann, wann sie z.B. fressen, melken oder schlafen möchte, konsequenter umsetzen als er. Den grössten Konflikt hatten wir aber betreffend der Marke des Melkroboters. Es gibt zwei relevante Fabrikate auf dem Markt, die sich in Details aber massiv unterscheiden. Er wollte das andere. Über ein Jahr hinweg gab es immer wieder Wortgefechte, bis ich dann sagte: “Ich übernehme den Hof und werde die nächsten 20 Jahre damit arbeiten, also machen wir es so wie ich es will!“ (lacht). 

Mistroboter
Wenn Du nun deinen Berufsalltag von vor 2015 mit den jetzigen Abläufen auf dem Hof vergleichst, inwiefern wurde dein Leben durch die moderne Technik bequemer und gibt es evtl. auch Dinge, die du im Vergleich zu früher vermisst?
Bequemer wurde mein Leben nicht, aber entscheidend flexibler. Ich habe keine fixen Abläufe mehr, die jeden Tag genau gleich gemacht werden müssen. Ich muss nicht morgens um 06:00 Uhr und abends um 16:00 Uhr im Stall sein, sondern kann mir das freier einteilen und vielleicht auch erst um 20:00 Uhr im Stall vorbeischauen. Auch am Wochenende kann ich den Kontrollaufwand der Daten am Computer etwas reduzieren. So kann ich mir auch mal einen halben Tag freinehmen. Ich vermisse es jedoch, sicher jede Nacht durchschlafen zu können. Denn ungefähr einmal im Monat muss ich nachts um 03:00 Uhr in den Stall, um einen Roboter neu zu starten, weil das System sich aufgehängt hat oder er irgendwo dagegen gefahren ist. Das heisst, wenn du ein technisches Problem hast, das du nicht umgehend lösen kannst, dann rennst du vielleicht während einer Woche jede Nacht in den Stall. In solchen Fällen fluche ich dann schon auch gerne mal (lacht). 

Arbeitest Du heute weniger als früher? 
Die Arbeit ist vor allem anders geworden. Klar, die Technik erleichtert mir vieles und meine Arbeit ist körperlich weniger anstrengend als früher. Ich muss weniger mit der Mistgabel den Dreck wegräumen, stattdessen muss ich den Roboter neu programmieren, damit er die richtige Route abfährt. Die Technik stellt aber vor allem sicher, dass die Kühe 24/7/365 betreut und versorgt werden. So ist es nicht schlimm, wenn ich am Wochenende mal ein paar Stunden weg bin. 

Wenn du laufend digitalisierst und automatisierst, ist dein Umsatz immer stärker von der Technik abhängig. Wie hältst du es mit der IT-Sicherheit, wie stark beschäftigt dich dieses Thema? 
Ich habe hier den Vorteil, dass es niemandem was bringt, meinen Hof zu hacken, das ist eher ein kleiner Betrieb. Man könnte hier lediglich einsehen, welche Kuh wieviel Milch gibt und wie die Zusammensetzung ist. Vielleicht könntest du auch die Fahrbahn meines Mistroboters umprogrammieren. Aber mal ehrlich, was hast du davon? Ich glaube da etwas naiv an das Gute im Menschen und achte darauf, dass ich mit dem PC, mit dem ich alle Daten meines Hofes überwache, nicht im Internet surfe.

Ihr habt hier einen Hofladen und vertreibt die Produkte auch online über euren Webshop.  Einen grossen Teil des Sortimentes produziert ihr selber, aber manches stammt auch von den Höfen in der Umgebung. Wie haben deine Nachbarn auf deine Webshop-Initiative reagiert? 
Über den Webshop läuft noch sehr wenig. Das hätte ich gerne anders, aber ich konnte mich noch nicht ausreichend darum kümmern. Es kann gut sein, dass noch nicht alle meine Nachbarn hier wissen, was ich alles anbiete. Aber der Hofladen läuft gut und das Marktschwärmer-Projekt in Zürich auch. Letzteres ist eine Internetplattform, für die wir in Zürich einen Standort haben, wo die Kunden jeweils am Dienstagabend ihre Bestellungen abholen können. Die Leute bestellen und bezahlen über die Plattform und ich muss mit der Ware jeweils nur diesen einen Standort in Zürich anfahren. Wenn ich mal nicht liefern kann, weil wir die gewünschte Menge nicht verfügbar haben, dann erhalten die Käufer von der Plattform automatisch das Geld zurück. Zu mir kommen also nur die Beträge von den Waren, die ich tatsächlich ausgeliefert habe. Und weil die Zahlungsabwicklung hier ohne mein Zutun bereits im Vorfeld über die Plattform geleistet wird, gewinne ich Zeit und kann mich auch mal mit dem einen oder anderen Kunden unterhalten.  
Am Marktschwärmer darf ich auch nur selber produzierte Waren verkaufen, während ich in meinem Hofladen und im Webshop auch Produkte von anderen Bauern anbiete. Jedoch sind dies weniger Produkte von den unmittelbaren Nachbarbetrieben, sondern von etwas weiter weg. Denn oft gibt es leider Eifersucht unter den Nachbarn. Mir ist es daher vor allem wichtig, mit Kollegen zusammenzuarbeiten, die meine Visionen teilen.

Ein wichtiger Teil deines Hofes ist automatisiert und digitalisiert. Wo, glaubst du, geht die Reise in der digitalen Landwirtschaft hin resp. wo siehst du noch Entwicklungspotential?
Futterroboter
Bei mir auf dem Hof wird der nächste Schritt die Molkerei sein. Weil der Milchpreis so tief ist, muss ich einen grösseren Teil der Wertschöpfung zu mir auf den Hof holen, um langfristig existieren zu können. Lely, der Hersteller meines Melkroboters, hat vor Kurzem ein Molkereisystem auf den Markt gebracht, das es bisher weltweit so nicht gab. Die Milch fliesst direkt vom Melkroboter in die Molkerei. So kann man dann in der Flasche explizit die Milch von der Kuh Erna, Dalta oder Vreni haben. Ausserdem ist es ein Baukasten-Containersystem, in dem die Milch automatisch pasteurisiert und verarbeitet wird. Ich muss am Ende dieser Kette nur noch die abgefüllten Milchflaschen abtransportieren. Der grosse Vorteil für mich: es ist ein geschlossenes System, somit ist der ganze Prozess sehr hygienisch.
Potential sehe ich auch bei der automatischen Bestellung von Futter oder Verbrauchsmaterialien für meinen Hof. Sobald eine bestimmte kritische Menge erreicht wird, wird automatisch nachbestellt.
Darüber hinaus kann ich mir vorstellen, auf dem Feld draussen in Zukunft verstärkt mit GPS zu arbeiten. Heute überschneiden sich meine Traktorbahnen auf dem Feld zwischen 20 cm bis hin zu mehreren Metern. Wenn ich aber künftig die Bodenbearbeitung, Saat, Pflege, Düngung und Ernte mit per GPS gesteuerten Fahrzeugen machen kann, dann gibt es diese Überschneidungen nicht mehr.
Auch denke ich, dass wir wieder zu Downsizing kommen. Bisher wurden immer grössere Traktoren gebaut, jetzt merkt man aber, dass die viel zu schwer werden und den Boden beschädigen. Ich glaube, in Zukunft werden wir vielleicht einen kleinen Schwarm an autonomen Traktoren haben, die miteinander kommunizieren. Auch die Menge des Düngers und Spritzmittels kann ich mit Hilfe von Sensoren und Kameras optimieren. Der Sensor vorne am Traktor erkennt, was alles Unkraut ist und die Düse hinten am Traktor sprüht anhand dieser Informationen punktuell nur dort, wo es nötig ist. Damit kann ich 98% einsparen und zudem garantieren, dass keine Spritzmittel in die Nahrungsmittel gelangen. Solche Anwendungsfelder werden in den nächsten Jahren verstärkt beworben und ausgebaut werden, sind aber zurzeit noch nicht praxisreif. 

Sind Drohnen ein Thema für dich? 
Für die Arbeit auf dem Feld kommt das für mich hier in der Schweiz nicht in Frage, da sind Traktoren besser und effizienter. Aber wo das Sinn macht ist zum Beispiel bei der Rehkitz-Suche. Bei hohem Gras habe ich keine Chance, beim Mähen die Rehe rechtzeitig zu sehen. Im Moment ist es so, dass Jäger am Tag vor dem Mähen hohe Stöcke in die Wiese stecken. Die Rehkuh merkt die Veränderung und holt ihr Kitz über Nacht raus. Das funktioniert ganz gut, ist aber sehr aufwändig. Mit der Drohne kann man sich sehr rasch und einfach einen Überblick verschaffen und ich sehe mit 100%iger Sicherheit, wo das Kitz liegt. Ich rechne bereits im nächsten Jahr damit, dass solche Drohnen bei uns zur Anwendung kommen werden.


Adrian Haggenmacher
Ihr bietet an der virtuellen Kasse im Webshop nebst Paypal oder der Lieferung gegen Vorkasse oder Rechnung auch die Möglichkeit der Barzahlung bei Abholung an. Wie oft wird diese Option noch genutzt?
Dieser Anteil ist sehr klein, denn über den Webshop laufen gerade mal 5-10% vom Gesamtumsatz des Ladens, unabhängig welche Bezahlfunktion gewählt wird. Somit mache ich gegen 90% des Umsatzes hier vor Ort im Hofladen selber. Darum ist es mir wichtig, den Betrieb attraktiv zu machen für Besucher. Mein Ziel ist es, einen Erlebnisbauernhof mit Spielgerät für Kinder zu etablieren. So können Familien unter der Woche oder am Wochenende vorbeikommen, sich den Betrieb anschauen und hoffentlich kaufen sie dann auch im Hofladen ein. Im Moment bezahlt man dort noch bar, ich habe mir nun aber sumup zugetan. Allerdings muss ich das Lesegerät noch fertig einrichten, damit der Hofladen dann endlich bereit ist für Kartenzahlungen (lacht).

Ist Twint für dich auch eine Option?  
Das kenn ich zu wenig. Ich denke aber nicht, dass das im Moment für mich und das Geschäft ein Mehrwert ist. Ich bin froh, wenn hier erstmal die Kartenzahlung im Hofladen funktioniert. 

Ist neben dem Erlebnishof für Familien vielleicht auch der Ausbau des Webshops für dich ein erklärtes Ziel? 
Das muss ein Ziel sein, denn der Online-Einkauf ist in meinen Augen die Zukunft. Im Moment fehlt es mir aber schlicht an der Zeit und am Knowhow. Und jemanden einstellen, der mir das macht, dafür bin ich noch zu klein, das rentiert sich für mich nicht.  

Gibt es irgendeine (online-) Dienstleistung, die du dir zum Beispiel von deiner Bank für Deinen Betrieb oder das optimierte Handling wünscht? 
Ich habe ein super Treuhandbüro mit einem sehr guten Online-Programm. Ich mache alle meine Zahlungen und Buchungen über dieses Tool und bin soweit glücklich damit. Natürlich muss auch das eBanking einfach und sicher sein. Da nervt mich manchmal der umständliche und wenig benutzerfreundliche Login-Prozess. Lange hatte ich so einen Token, der mir die Tan anzeigte. Mittlerweile habe ich das auf mein Handy umgestellt. Aber den Login-Prozess kann man hier bestimmt noch verbessern (lacht). 

Lieber Adrian, ganz herzlichen Dank für dieses spannende Gespräch.

Dieser Blog wurde von Matthias Hungerbühler verfasst.

#DigitalTransformation #SmartFarming

Swiss21.org – Disruption im Segment der Business-Software

Aktuell stösst man eher noch per Zufall auf den etwas sperrigen Namen Swiss21.
Der Webauftritt ist bezüglich Informationsgehalt auch eher noch etwas schwach auf der Brust, die Ankündigung dafür umso beeindruckender. Nichts anderes als ein neues «digitales Ökosystem für Schweizer KMU» wird einem auf der Frontseite in Aussicht gestellt. Der Countdown-Zähler für den Launch zielt auf den Mittwoch, 7. November 2018 ab, wenn wir richtig gezählt haben. Was auf den ersten Augenblick so aussieht wie viele Ankündigungen von IT-Startups, welche aktuell gerade versuchen ein etabliertes Business-Modell neu zu erfinden, hat auf den zweiten Blick enormes Durchschlagspotential:
Eine Business-Software umsonst. Also kostenlos, gratis.

In der Schweiz herrscht schon seit längerer Zeit im Markt der ERP-Lösungen (Enterprise-Resource-Planning) ein harter Verdrängungswettbewerb. Auf der Branchenplattform topsoft.ch sind aktuell mehr als 2'500 Produkthersteller aufgeführt. Die Bandbreite reicht dabei von den bekannten Branchenleadern wie SAP, ABACUS oder Sage bis hin zu sehr spezifischen Nischenanbietern, welche sich z.B. auf die Organisation und das Eintreiben von Spenden für Non-Profit-Organisation spezialisiert haben. Funktionalitäten wie die Verwaltung von Kontakten, die Erfassung von Artikeln oder Leistungen für Rechnungen oder Hilfsmittel für den Online-Vertrieb gehören bei KMU-Lösungen heute zur Grundausstattung. Genau hier setzt Swiss21 an.

Für Anwender, die maximal 2’100 Kunden, 2’100 Artikel oder 2’100 Belege pro Jahr verwalten (man beachte die Analogie zu Swiss21 und 2'100), soll der Einsatz der Software kostenlos sein. Ab dieser Grenze ist dann eine Monatsgebühr von 21,00 Franken fällig. Dafür gibt es eine ausgewachsene Business-Software mit den Hauptmodulen «Rechnungen & Offerten», «Buchhaltung», «Bankanbindungen», «Online Shop», «Point of Sales» und «Kontaktverwaltung». Auch wenn man berücksichtigt, dass es sich hierbei noch um eine Ankündigung handelt (der Launch erfolgt wie gesagt in den nächsten Tagen), muss es sich für die neuen Platzhirsche von Cloud-Business-Software wie Bexio oder Run my Accounts wie eine Kriegserklärung anhören.

Man könnte das Ganze jetzt als «one of many startups»-Initiative abhaken, wären da nicht die potenten Initianten, welche in den nächsten Tagen mit wohl viel Brimborium die Lösung bekannt machen werden. Aufgrund des Renommees der beteiligten Zulieferanten (Swiss 21 spricht von Partner) haftet dem Angebot von Anfang an eine gewisse Seriosität an, da insbesondere ABACUS, Swisscom und die St. Galler Kantonalbank über viel Vertrauen im KMU-Segment verfügen. Man darf sehr gespannt sein, wie sich dieses Angebot im Markt wird durchsetzen können. Das Argument der kostenlosen Software ist natürlich radikal und fast unschlagbar. Sollte die Funktionalität auch nur im Ansatz das halten, was heute auf der Webseite angekündigt wird, dann beobachten wir gerade die Umsetzung einer weiteren Disruption mit ungeahnten Folgen für die heute etablierten Anbieter von Business-Software-Lösungen.


Dieser Blog wurde von Carsten Miehling verfasst.

#Swiss21 #Digitalisierung #ERP