Who’s King in Sweden?

In der jüngsten Vergangenheit sind im Netz vermehrt Artikel über die Cashless Gesellschaft in Schweden aufgetaucht. Wir berichteten an dieser Stelle bereits früher mal über die Anstrengungen zur Einführung einer Cashless Society in Indien und beleuchteten die digitale Transformation im Reich der heiligen Kühe. Indien ist sicherlich ein spannender Fall, da Asien ein starker Wachstumsmarkt ist, Indien nach wie vor als Schwellenland gilt und viele Menschen dort bisher keinen Zugang zu Bankdienstleistungen hatten. Die digitalen Angebote ändern dies nun rasant, was zur Etablierung neuer Machtverhältnisse und neuer Märkte mit einer neuen Kundenschaft führt. In Schweden dagegen gab es diesen Ausschluss von Bank- und Paymentdienstleistungen nicht. Herr und Frau Schwede hatten in ihrem hochentwickelten Heimatland seit geraumer Zeit Zugang zu einer funktionierenden Bankinfrastruktur und es überrascht den restlichen Teil Europas dann doch, dass Schweden so unglaublich rasch digitalisiert und mittlerweile gerade mal noch 20% aller Transaktionen in bar abwickelt.

Die Banken lieben die neue Entwicklung
Aus Sicht der Banken hört sich diese Zahl traumhaft an, auch weil man davon ausgeht, dass die Anzahl der Bartransaktionen noch weiter zurückgehen wird. Für die Banken bedeutet das pures Geld. Denn die Bereitstellung von Bargeld ist teuer, auch wenn die Entwicklung von digitalen Paymentservices Kosten verursacht hat. So kann man auch Gebühren für deren Nutzung verlangen, denn der Kunde spart damit wertvolle Zeit: Nie mehr unpassende Münzen für Automaten, keine zu grossen Geldscheine, die vom Verkäufer nicht akzeptiert respektive gewechselt werden können und keine lästigen Gänge mehr zum nächsten Geldautomaten. Und ganz nebenbei sammelt die Bank interessante Nutzerdaten. Die Menschen sehen die Vorteile, Digital Payment ist in Schweden offensichtlich King. 

Europa schläft
Aus deutscher und Schweizer Sicht ist sowas völlig undenkbar. Deutschland zählt an gleicher Stelle einen Wert von 75% Baranteil an allen Transaktionen und in der Schweiz liegt dieser Wert für private Haushalte gemäss einer SNB-Studie aus dem Jahre 2017 bei rund 70%. Wir lieben eben unser Bargeld und behalten gerne den Überblick über die Beträge. Zudem sind Bartransaktionen anonym und können nicht nachverfolgt werden. Niemand kann sehen, woher das Geld kommt und wohin es geht. Das lieben wir Schweizer. Und bitte keine falschen Schlüsse: Wir lieben dieses Gefühl nicht, weil wir alle kriminell sind und was zu verbergen haben, sondern wir lieben dieses Gefühl, weil wir den Drang nach Unabhängigkeit und Freiheit regelrecht in unseren Genen tragen. Und noch viel mehr als das: Wir lieben die Diskretion.

Letzter Punkt scheint in Schweden kein Hindernis zu sein. Die Schweden haben ein sehr hohes Vertrauen in ihre Banken sowie auch in die Politik (https://global.handelsblatt.com/finance/sweden-sprints-toward-cashless-society-892524) und erfüllen damit eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine Cashless Society. Die Gesellschaft ist aufgeschlossen und geht ganz einfach mit der Zeit. 

Historisch bestimmt
Bereits 1661 führte Schweden als erstes europäisches Land Geldscheine als Zahlungsmittel ein - unter anderem nachzulesen in einem amüsanten Beitrag von Jutta Hoffritz in Zeit Online. Und heute sind die Schweden die ersten, die die Banknoten wieder abschaffen. Bereits über 60% der Bevölkerung nutzen die beliebte Payment-App Swish. Ein Marktanteil, der für die Schweizer Mobile-Paymentlösung TWINT alles andere als greifbar nah liegt. Dass Schweden auf dem Gebiet der mobilen Paymentlösungen durchaus auch auf der Weltbühne ein Wörtchen mitzureden hat und als innovativ gilt, beweist u.a. die jüngste Übernahme des schwedischen Startups iZettle durch Paypal. Die Amerikaner lassen sich diesen Deal 2,2 Milliarden US-Dollar kosten und erhoffen sich damit auch im europäischen Einzelhandel umfassende Services anbieten zu können. 

Aber geht diese Rechnung auf?
Während fast ganz Europa weiterhin träge auf dem Bargeld sitzt, werden nun auch in Schweden immer mehr Stimmen laut, die die rasche Digitalisierung im Paymentbereich bremsen möchten, ganz zum Ärger der Banken. Anscheinend bekommt man im Lande Carl Gustav‘s allmählich Angst vor dem überaus grossen Vorsprung, den man gegenüber Europa mittlerweile aufgebaut hat und macht sich Gedanken über die Versorgungssicherheit. So ganz alleine auf weiter Flur fühlen sich die Schweden dann doch nicht mehr so wohl. Das Parlament Reichsbank Komitee, das das Zentralbank-Gesetz überwacht, will es nun für grössere Banken verpflichtend machen, der Bevölkerung eine ausreichende Anzahl Geldautomaten in einer vergleichsweise akzeptablen Distanz zur Verfügung zu stellen. Heisst soviel wie: 99 % der Bevölkerung müssen den nächsten Geldautomaten innerhalb einer Distanz  von maximal 25 Kilometer erreichen können. Ob diese Distanzvorgabe die rasante Verbreitung von digitalen Paymentmethoden tatsächlich zu bremsen vermag, wagt der Autor zu bezweifeln.

Aber vielleicht liegt genau darin das Problem. Wir Schweizer sind selbstverständlich glücklich darüber, dass wir nicht von Zürich nach Baden fahren müssen, um Bargeld abheben zu können. Wäre das aber der Fall, würde auch hierzulande ein Grossteil der Bevölkerung digital und mobil bezahlen. Aber eben, unser Landesvater ist Wilhelm Tell. Er kämpfte damals gegen fremde Kontrolle und Unterdrückung und erschaffte einen wichtigen Teil der Identität unseres Landes. Viele glauben tief und fest, dass er seit geraumer Zeit den Fünfliber ziert. Leider stimmt das nicht, die Figur stellt einfach einen Alphirten dar, wie auch die bundeseigene Prägeanstalt Swissmint richtig kommuniziert. Dieser tief im Volk verankerte Irrglaube ist vielleicht aber entscheidend mitverantwortlich, dass Herr und Frau Schweizer das Bargeld wohl nicht so rasch hergeben. Denn Bares ist Wahres und fällt das Bargeld, fällt damit vielleicht auch eine der letzten individuellen Freiheiten der Moderne. 


Dieser Beitrag wurde von Matthias Hungerbühler gepostet.

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