Christine Lagarde, die Grande Dame des Internationalen Währungsfonds (IMF), präsentiert auf der Bank of England Conference erstaunlich offen ihre Gedanken. Unter dem Titel: “Central Banking and Fintech - A Brave New World?“ geht sie der Frage nach: “How will fintech change central banking over the next generation?“
Letzte Woche erst berichtete Carsten Miehling, CEO PPI Schweiz, an dieser Stelle, dass die grösste Kantonalbank in unserem Land Fintechs eher als Hype wahrnimmt und dieser Branche jetzt und auch in Zukunft kaum oder nur sehr geringe Marktanteile attestiert. Und nun kommt die höchste Währungshüterin der Welt und malt ein gegenteiliges Bild, nämlich eines mit Crypto Currencies und grossen Herausforderungen für das etablierte Bankensystem, inklusive der Zentralbanken. Sie glaubt an den Fortschritt, glaubt daran, dass neue Player am Verhandlungstisch Platz finden und gewisse alte Strukturen der Vergangenheit angehören werden. Sie zeichnet eine Welt, in der Menschen mühelos über Grenzen hinweg virtuell in Echtzeit bezahlen, ohne Clearing versteht sich.
Welche der beiden Auffassungen letztlich recht behalten wird, zeigt uns die Zukunft.
Lassen Sie uns aber erst einmal einen Blick in Frau Lagarde‘s Gedanken werfen. Ihren Vortrag stützt sie auf drei wichtige Teilgebiete:
1. Virtual Currencies
Hier weist Frau Lagarde klar darauf hin, dass “VirtualC“ nicht einfach digitale Transaktionen in bestehenden Landeswährungen sind, sondern tatsächlich als eigenständige und ernstzunehmende Einheiten von Konten und Zahlungssystemen zu verstehen sind, die P2P-Transaktionen ohne das zentrale Clearing eines Bankhauses oder der Zentralbank ermöglichen. Im Moment spielen Bitcoin etc. noch eine untergeordnete Rolle, da der Kurs sehr volatil und ein Einstieg riskant sowie der Mining-Prozess energieintensiv ist. Ebenso sind “Virtual Currencies“ für Regulatoren undurchsichtig und einige Börsen wurden auch schon gehackt. Aber die meist technischen Herausforderungen werden im Laufe der Zeit gelöst und die Abwicklungsprozesse optimiert und vereinfacht werden.
Auf lange Sicht kann diese Technologie gemäss Frau Lagarde nationale Währungen substituieren und wird in der Lage sein, ein Fragezeichen hinter das bestehende Bankensystem zu setzen.
Geschickt bringt Frau Lagarde einen passenden Vergleich: “Not so long ago, some experts argued that personal computers would never be adopted, and that tablets would only be used as expensive coffee trays. So I think it may not be wise to dismiss virtual currencies."
Gerade für Länder mit einer schwachen eigenen Währung bergen diese digitalen Lösungen spannende Chancen. Das könnte für manche Regierung weitaus interessanter sein, als einfach eine Parallelwährung, wie z.B. den Dollar, zu akzeptieren. Man könnte diesen Prozess gemäss Frau Lagarde also Dollarization 2.0 nennen.
Stellen Sie sich zum Beispiel die wachsende Nachfrage nach neuen Zahlungsformen vor, gerade in Ländern, in denen die Ökonomie der dezentralen Dienstleistungen wächst und das vielleicht sogar auch über die Landesgrenze hinweg. Ein paar Dollar für einen Gärtner-Tipp aus Neuseeland, ein paar Euro für das Layout einer Arbeit etc. Heute bezahlt man solche Leistungen meist via Kreditkarte. Aber gerade bei kleinen Beträgen sind die Gebühren meist uninteressant hoch. Somit wird das Volk gemäss Frau Lagarde bald vermehrt nach virtuellen Währungen verlangen. Und wenn diese weiterhin unsicher und instabil sind, dann wird der Ruf an die Zentralbank laut, den Markt mit einer sinnvollen digitalen Lösung zu versorgen.
2. New Models of Financial Intermediation
Frau Lagarde meint, dass wir künftig nur noch minimale Saldi für den anfallenden Zahlungsverkehr in unseren virtuellen Brieftaschen haben werden. Den Rest investieren wir via Fonds- und Peer-to-Peer-Plattformen, inklusive künstlicher Intelligenz für das automatische Kredit-Scoring. Solche Prozesse untergraben das herkömmliche Banking. “Data is King“ ist das neue Lösungswort dieser Welt und sie besteht aus vielen neuen Playern, die alle keine physische Anlaufstelle unterhalten.
How would monetary policy be set in this context?
Heute funktioniert die Geldpolitik eines Landes, weil die Zentralbank die Banken mit Liquidität versorgt. Aber wenn die Banken generell weniger wichtig werden in der neuen Finanzwelt, wie kann dann eine effektive, zentrale Finanzpolitik aufrechterhalten werden?
Immer mehr Player müssten reguliert und überhaupt erst einmal definiert werden. Wie benennen Sie ein Social Media Unternehmen, das Zahlungsdienstleistungen anbietet, aber keine aktive Bilanz führt? Ist das eine Bank?
Cooperation is key
Das weitere Vorgehen muss in erster Linie auf Dialog basieren. Gestandene Regulatoren müssen sich mit ihren jungen Kollegen, die sich mehr mit Algorithmen als mit wirklichem Geld befassen, an einen Tisch setzen und Erfahrungen austauschen. Zentralbanken müssen sich über die Landesgrenzen hinweg gegenseitig über Entwicklungen informieren und rechtliche Fragen miteinander angehen. Die neuen Währungen stehen nicht wie Währungen bisher für nationale Einheiten, sondern für internationale Aktivitäten.
Frau Lagarde bietet hier den IMF als Diskussions-Plattform an und appelliert dafür, dass neue Player am Tisch zugelassen werden.
3. Artificial intelligence
Untersuchungen zeigen, dass nahezu 90% aller zur Verfügung stehenden Daten in den letzten zwei Jahren gesammelt wurden. Und wir sprechen hier nicht nur von Arbeitslosenzahlen oder Wetterdaten, sondern von ganz eigenen Verhaltensdaten von jedem einzelnen Homo Ökonomikus. Und diese Daten werden immer wertvoller, weil wir sie mit künstlicher Intelligenz koppeln und auswerten können.
Und was bedeutet das für die Finanzpolitik? Gute Finanzpolitik ist meist dann erfolgreich, wenn sie klar erklärt wird, damit die Öffentlichkeit klare Erwartungen daraus ableiten kann. Oder können selbst das Maschinen übernehmen? So oder so, auch wenn Maschinen ihre Entscheidungen erklären könnten, wer kann dann dafür verantwortlich gemacht werden, wenn ökonomische Krisen aufkommen?
Verantwortlichkeiten definieren ist der Schlüssel. Ohne sie können wir keine Unabhängigkeit haben. Und ohne Unabhängigkeit scheitert die Politik oder wird irregeleitet. Das heisst, dass Maschinen eher nicht die Finanzpolitik übernehmen werden.
Frau Lagarde schliesst mit den Worten: “I believe that we - as individuals and communities - have the capacity to shape a technological and economic future that works for all. We have a responsibility to make this work. That is why I prefer Shakespeare’s evocation of the brave new world in ‚The Tempest’: “O wonder! How many goodly creatures are there here! How beauteous mankind is! O brave new world.”
Mutig und zukunftsorientiert ist diese Rede. Frau Lagarde zeigt sich offen für neue Tendenzen im internationalen Zahlungsverkehr und beobachtet technische Entwicklungen genau. Wir von PPI Schweiz begrüssen diesen Fortschrittsglauben und gehen mit Frau Lagarde überein, dass sich Fintechs vielleicht rascher als einem lieb ist durchsetzen und spannende neue Lösungen anbieten werden. Protektionismus ist aus unserer Sicht hier fehl am Platz. Wer sich verzweifelt an Altem festklammert, verschwendet seine Energie und wird blind für die Zukunft.
Hier finden Sie die Originalrede von Christine Lagarde
https://www.imf.org/en/News/Articles/2017/09/28/sp092917-central-banking-and-fintech-a-brave-new-world
Dieser Beitrag wurde von Matthias Hungerbühler gepostet.
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