Seit geraumer Zeit beschäftigen sich sehr viele Mitarbeiter von Banken
und Firmen mit der Harmonisierung des „Zahlungsverkehr Schweiz“. Projekte wurden
gestartet und sind in vollem Gange. Warum aber dieser ganze Effort? Ist es
nicht nur - wie bereits Carsten Miehling vor kurzem geschrieben hat - „alter Wein in neuen Schläuchen“?
Warum hat auch SIX Interbank Clearing Anfang 2017 zu einem so späten
Zeitpunkt, als die ganze Implementierung bereits in vollem Gange ist, unter dem
Link www.paymentstandards.ch eine neue
Kommunikationskampagne mit dem Titel „Activating Digital Switzerland“ gestartet?
Wir müssen uns also nochmals fragen, warum der ganze Formatwechsel eigentlich
notwendig ist.
Woher kommen wir?
Bisher herrschten im Zahlungsverkehr - nicht nur in der Schweiz -
heterogene und in die Jahre gekommene Formate, bei denen an unterschiedlichsten
Stellen Trunkierungen möglich waren, das heisst, nicht alle Informationen über
die ganze Kette erhalten blieben.
Daneben waren die Grundfunktionalitäten im Zahlungsverkehr zwar schon
immer gegeben, aber weiterführende Features waren aufgrund der Legacy-Formate
nicht oder nur schwer realisierbar.
Die neue Welt mit ISO 20022 soll hier Hand
bieten.
Wohin gehen wir?
Im oben erwähnten Blog wurde aufgezeigt, dass durch ein detailliertes
Zahlungsprotokoll fehlerhafte Aufträge automatisiert erkannt und zur Korrektur
vorgelegt werden können, eine Korrektur der Stammdaten ermöglicht wird und der
Abklärungsaufwand bei Zahlungseingängen minimiert wird.
Dies ist jedoch erst der Anfang: Die Kampagne von SIX Interbank Clearing
und auch aktuelle Veranstaltungen wie die „Scientifica“, bei der sich Anfang
September die ETH Zürich die Frage stellt „Was Daten verraten?“, zeigen auf,
dass wir immer vernetzter werden und die virtuelle Welt weiter sehr stark auf
dem Vormarsch ist.
Wie passt nun die „Harmonisierung Zahlungsverkehr Schweiz“ in den
Gesamtkontext?
Es ist zwar nur ein kleiner Teil, aber wenn im IoT, dem „Internet of Things“, ein
Kühlschrank künftig Milch oder die Waschmaschine Waschpulver bestellt (und
bezahlt), muss die Datengrundlage stimmen.
Auch unter PSD2, die eine weitere
Öffnung der Bankzugänge für Drittanbieter für Kontoreporting und
Zahlungsauslösung vorsieht, sind entsprechende Ansätze vorhersehbar.
Fazit: Auch wenn es im ersten Moment „nur“ die Harmonisierung des
Zahlungsverkehrs ist, so legen wir doch damit schon heute den Grundstein für
eine immer stärker vernetzte Welt.
Welche Digitalisierungsansätze ergeben sich aus der Harmonisierung des
Zahlungsverkehrs?
Oberstes Ziel sollte es sein, aktuelle wie auch zukünftige Medienbrüche
aufzulösen. Ein Zahlungsprotokoll sollte nicht mehr aus der Kette herausgelöst
und durch eine Drittapplikation „schön und benutzerfreundlich“ dargestellt
werden, sondern der ursprünglichen Intention folgend, direkt in die
Buchhaltungsanwendung importiert werden, die den Zahlungsauftrag erstellt hat
und somit eine vollautomatisierte Schliessung der offenen Posten ermöglichen.
Auch die neuen Kontoreportingmeldungen sind unter diesem Aspekt zu
verstehen. So wird der camt.054 stand-alone die Funktion des ehemaligen
ESR-v11-Files übernehmen und ausstehende Forderungen nach Eingang
vollautomatisiert in der Buchhaltung schliessen.
Natürlich rufen die neuen Möglichkeiten und Formate neue Akteure und
Entwickler auf den Markt, die entsprechende und verschönernde Lösungen
anbieten. Dennoch sollten wir uns streng an die ursprüngliche Intention halten
und nur die zwei grossen Ziele verfolgen: Medienbrüche vermeiden und eine
Vollautomatisierung ermöglichen.
Wo stehen wir in der Realisierung?
Vermutlich bewegen wir uns bereits im Bereich „80% Aufwand für die
letzten 20% Ergebnis“. Viele haben einfach nicht die Ressourcen oder das Geld,
die Harmonisierung vollständig zu leben und beispielsweise alte
Erfassungsformulare wegzuwerfen. Aber nur dann haben wir zukünftig die Basis,
die wir für weiterführende Entwicklungen benötigen. Schon Bill Gates hätte sich
nicht träumen lassen, welche Konsequenzen das Sparen von zwei Stellen bei der
Datumsspeicherung einmal hat (sogar für Tastaturtreiber gab es eine
„Jahr-2000-ready-Bescheinigung“, welche eingeholt werden musste. So füllen wir
heute „alten Wein“ in „neue Schläuche“ und hoffen, dass wir mit
möglichst wenig Aufwand wieder korrekt Zahlungen auslösen können.
Alte Zöpfe abzuschneiden erfordert Mut
Der eine oder andere mag zögern, eine veraltete Infrastruktur auszumustern
- wie einen Bankserver, über den nur DTA-Dateien entgegengenommen werden -,
weil nur wenige, aber ertragsreiche Kunden darauf noch arbeiten. Dies kann jedoch
früher oder später zum Problem werden, weil durch notwendige Regressionstests
bei jeder (parallelen) Neuentwicklung und bei jedem Release sichergestellt
werden muss, dass eben jene veraltete Lösung ebenfalls noch funktioniert.
Wenn uns auch manche Legacy-Systeme noch ein Weilchen begleiten, glauben
wir dennoch an die Harmonisierung des Zahlungsverkehrs und ermutigen alle, ihre
Anwendungen vollständig auf die neuen Strukturen umzustellen. Sei es, um
leichter künftigen Geldwäschereianforderungen nachkommen zu können oder sei es,
um in einem zweiten Schritt zielgerichtet die Aktivierung des „Digital
Switzerland“ vorantreiben zu können.
Und sie lächelten...
Viele werden sich schon freuen, wenn die Harmonisierungs-Projekte vorbei
sind, mit dem neuen Einzahlungsschein ein letzter Meilenstein eingeführt ist
und man endlich einmal wieder etwas „für den Kunden“ umsetzen kann, da die
wahren Kundenbedürfnisse in den letzten Jahren meist hintenanstehen mussten.
Aber der Kunde wird künftig zwangsweise auch neue Lösungen fordern, die ohne
die derzeitigen Arbeiten gar nicht möglich sind. Vielmehr werden nach dem
Zahlungsverkehr auch noch viele andere Bereiche anstehen, die digitalisiert
werden und für die die Daten- und Prozessbasis geschaffen werden müssen.
Vielleicht werden wir daher in künftigen Projekten einmal wehmütig auf die
aktuellen Zahlungsverkehrsprojekte zurückschauen und denken: „Hätten wir nur
damals bereits die Grundlage gelegt...“
Dieser Beitrag wurde von Frank Rebmann gepostet.
#ISO20022, #HarmonisierungZVCH, #PSD2,
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