Cashless India

Im November 2016 erklärte die indische Regierung die zwei grössten Banknoten praktisch über Nacht für ungültig. Die indische Wirtschaft soll offensichtlich mit der Brechstange in das digitale Zeitalter überführt werden. „Faceless, Paperless, Cashless“  – so das Leitmotiv der Regierung. Sie wünscht sich eine digital befähigte Gesellschaft und Wissensökonomie und natürlich auch mehr Steuereinnahmen. 

Die Ausgangslage
Damit man erahnen kann, was diese unangekündigte Massnahme in Indien für ein Chaos anrichtete, müssen wir erst einmal ein paar Dinge über die indische Wirtschaft wissen:

Sehr viele Inder besitzen kein eigenes Bankkonto. Etwa 45% der Wirtschaftsleistung mit 75% der arbeitstätigen Bevölkerung findet cash-basiert, unversteuert und unreguliert statt. Die Working-Class und vor allem die Working-Poors arbeiten von der Hand in den Mund. Cash ist also für diese Bevölkerungsschichten unabdingbar. Fast alle Güter des täglichen Lebens werden Cash bezahlt. Gemäss GTAI (Germany Trade & Invest) werden selbst 60%-70% der Onlineeinkäufe in Indien bar beglichen. So erstaunt es nicht, dass Indien einen der höchsten Bargeldbestände im Vergleich zum BIP (12,4%) aufweist. Selbst andere Schwellenländer wie z.B. Brasilien liegen mit gegen 3% weit hinter diesem Wert zurück. Und mit dieser Massnahme wurden nun 86% des Bargeldes entwertet. (http://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/Maerkte/Wirtschaftsklima/wirtschaftsentwicklung,t=wirtschaftsausblick-winter-201617--indien,did=1599136.html?view=renderPrint)


Gegen Schattenwirtschaft, Terrorismus und Korruption
Grundsätzlich ist der Wunsch der Regierung, effizienter gegen Korruption und Schwarzgeld vorgehen zu können, nachvollziehbar und unterstützenswert. Doch dieser nicht antizipierbare Erlass (http://indianexpress.com/article/india/india-news-india/narendra-modi-prime-minister-address-to-the-nation4364609/), dass die grössten Banknoten (Rs 500 und Rs 1000) ihren Wert als Zahlmittel verlieren und deshalb getauscht oder auf das eigene Bankkonto eingezahlt und somit digitalisiert werden müssen, versetzte verständlicherweise viele in Panik. Das Statement des Premierministers Narendra Modi im vergangenen November war also mehr als gewagt. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen sind nach wie vor nur schwierig zu kalkulieren. 


Pure Überforderung der Banken
Nach der Rede des Premierministers bildeten sich lange Schlangen vor den Geldautomaten. Jeder versuchte entweder an Geldscheine einer kleineren Stückelung ranzukommen oder kurz vor zwölf die bald wertlosen Scheine auf sein Konto einzuzahlen. Manchmal standen bis zu hundert Menschen vor einem einzigen Automaten. Einzig Fluggesellschaften und Krankenhäuser profitierten von einer 72-stündigen Ausnahme des Verbotes für die Bezahlung von Krankenhausrechnungen und Flugtickets.

Diese Horrorszenarien führten in unser Redaktion zu mehr als blossem Kopfschütteln. Denn offensichtlich wurden nicht mal die Banken richtig und mit ausreichendem Vorlauf über diesen Schritt der Regierung informiert. Und so erstaunt es nicht, dass das indische Wirtschaftswachstum – zumindest kurz- bis mittelfristig – einen Dämpfer hinnehmen muss. 

Einigkeit unter den Banken und Bewertungsgesellschaften gibt es jedoch nicht, alle schätzen die Auswirkungen dieser Massnahme anders ein. Einzig die Indische Regierung spricht weiterhin von einem Wachstum von 7% (https://www.forbes.com/sites/timworstall/2017/03/03/pm-modi-can-diss-harvard-but-indias-7-gdp-growth-after-demonetisation-still-doesnt-add-up/#11bad0cc345f). Die Frage ist nur, wie genau sich die Wirtschaftsleistung des Schattenbereichs messen oder schätzen lässt, jenes Bereiches mit dem grössten Cashumsatz und mit den meisten Arbeitenden. 

Selbst wenn mit diesem Entscheid die Schwarzgeldströme geschwächt werden konnten, ganz verhindern lässt sich die Korruption kaum. 
Demgegenüber stehen aber mehr als 1.29 Milliarden Inder, die unmittelbar und teils sehr einschneidend von dieser Demonetisierung betroffen waren und immer noch sind. Manch ein Working-Poor hat dadurch empfindlich Geld verloren, was sich erheblich auf den Kleinkonsum auswirkt. Der Rundumschlag traf somit vor allem die Armen und weniger jene, die die Schwarzgeldgeschäfte entscheidend steuern. 

Wenn es Indien mit dieser Massnahme gelingt, einen Grossteil der Zahlströme in formelle Kanäle zu leiten und damit Steuereinnahmen zu generieren, dann ist die Regierung angehalten mit diesen Mehreinnahmen im grossen Stil Schulprojekte zu fördern. Denn nach wie vor liegt die Alphabetisierungsrate bei Männern lediglich um die 80% und bei Frauen um die 63% (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/170863/umfrage/alphabetisierung-in-indien/)
Für die angestrebte digital befähigte Gesellschaft und Wissensökonomie sind diese Werte aber noch wesentlich zu tief. Und da helfen auch die Anreize der Regierung wenig, mit welchen sie den digitalen Zahlungsverkehr attraktiv machen will. Diese reichen vom Verzicht der Service-Steuer bei Kartentransaktionen bis hin zu Rabatten bei Bahntickets, die digital bezahlt werden. Denn wer nun mal nicht lesen und schreiben kann, besitzt vermutlich auch kein Bankkonto und kann hier nicht partizipieren. 

Bleibt also die Frage der Strategie. Wäre es nicht sinnvoller gewesen erst flächendeckend das Bildungsniveau anzuheben, die Banken mit ins Boot zu holen und dafür zu sorgen, dass auch arme Leute ein Bankkonto eröffnen können, um dann viel effizienter und mit weniger Wachstumsverlust den Bargeldbestand zu reduzieren?


Dieser Beitrag wurde von Matthias Hungerbühler gepostet.

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