"Wird Blockchain die Banken wegfegen" (20 Minuten am 20.09.2016). Das klingt ja so, als ob sämtliche Banken, die noch nicht über ein Blockchainprojekt verfügen, mit dem Aufsetzen ihrer Grabrede beginnen müssen.
In der Tat ist anzunehmen, dass die Digitalisierung oder "Industrie 4.0" Opfer bringen wird. Aber steht uns wirklich das Armageddon der Finanzindustrie bevor?
Vielleicht bringt ein Rückblick auf eines der
grössten Digitalisierungsprojekte in der Finanzbranche während der letzten
Jahrzehnte mehr Aufschluss.
Wie Banken
schon vor 30 Jahren mit der Digitalisierung begannen
Als vor 30 Jahren die ersten Versuche unternommen wurden,
Zahlungen elektronisch an die Bank zu übermitteln, dachte kaum jemand, dass im
21. Jahrhundert noch Filialen benötigt werden. Das damals eingeführte
Onlinebanking wurde als enorme Bedrohung für Bankfilialen wahrgenommen.
Kannibalisierung der Kundenfrequenz, Verlagerung von Front-Arbeitsplätzen ins
Backoffice, Wegrationalisierung von Schalterpersonal. Nur ein paar Beispiele
der häufigsten Befürchtungen. Heute, drei Dekaden später, existieren Beide
nebeneinander - Onlinebanking und Bankfiliale. Und es arbeiten dort sogar
Menschen. Hinter dem Bankschalter und auch hinter dem Onlinebanking.Fairerweise muss an dieser Stelle aber gesagt werden, dass das gute alte Onlinebanking jedoch auch ein paar Köpfe rollen liess, in Form von einzelnen Bankfilialen und Mitarbeitern. Es ermöglichte Kunden aber auch von überall und zu jeder Zeit Kontoinformationen abzurufen sowie Zahlungen und Wertschriftenhandel auszuführen. Filialschliessungen waren häufig durch weniger Kundenfrequenz begründet, was unter dem Strich zu geringerer Rentabilität führte. Die Kunden verlagerten dabei einen Teil ihrer Bankgeschäfte zu sich nach Hause oder ins Büro. Letztendlich blieb der Kunde jedoch mehrheitlich seiner Bank treu. Jene Kunden, die hingegen ihre Bankverbindung oder Teile davon wechselten, taten das nicht wegen der Erfindung des Onlinebankings. Vielmehr führte die Verbreitung des Internets zu einer besseren Vergleichbarkeit der Finanzinstitute und deren Angeboten. Auch durch die wachsende Mobilität war eine physische Präsenz in der Nähe des Wohnortes plötzlich nicht mehr erste Priorität bei der Wahl der Hausbank.
Ist
Digitalisierung ein stumpfes Schwert?
Heisst das nun: "Digitalisierung" sieht
lediglich mächtig aus, verbreitet Angst und Schrecken, ist aber in Wirklichkeit
nicht mehr als ein stumpfes Schwert?Etwas über den Tellerrand hinausgeschaut ist es nicht die Digitalisierung als solches, die für unsere Banken gefährlich werden könnte.
Die Wetterküche der Finanzwelt brodelt, was aber auch an appetitverderbenden Zutaten wie Negativzinsen, Regulierung, Steuerabkommen und Milliardenbussen sowie den "unbeliebten" FinTechs liegt.
Und weil das noch nicht genug ist, wollen moderne Kunden alles am liebsten gratis, sofort und auf dem Smartphone.
Für eine Kontoeröffnung einen Termin zwischen 9 und 16 Uhr in einer Bankfiliale vereinbaren? An einem Wochentag? Das wird uns in weniger als zehn Jahren niemand mehr glauben.
Video-Onboarding über Apps, Personal Finance Management, E-Banking sowieso, die Eröffnung von weiteren Konti per Touch auf den Smartphonescreen und sofortige Überweisung von Geldbeträgen 24 Stunden pro Tag und am Wochenende sind die neuen Erwartungen, die immer mehr Kunden an ihre Bank haben. Das alles fordert die Wettbewerbsfähigkeit vieler Banken heraus.
Viele der aufgezählten Bedürfnisse haben Finanzinstitute bereits erkannt und bieten entsprechende Lösungen an. Mit wirkungsvollen "Schwertern" haben diese Lösungen jedoch noch wenig zu tun. Um das beste Schwert zu führen, muss man es schärfen, sich eine Taktik (Strategie) zurechtlegen, es beherrschen und seine Wirkungsweise kennen.
Blicken wir hinter die Kulissen der neuen Digital Banking Lösungen ist schnell Schluss mit fancy Tools, modernsten Technologien oder Straight-Through-Prozessen. In der Video-Onboarding-App ist ein Mensch, der Fragen stellt und darüber entscheidet, ob ich der bin für den ich mich ausgebe. Hinter der "on-the-fly Kontoeröffnung" schickt ein Mailsystem eine automatisierte E-Mail an einen Postkorb, den Mitarbeiter aus Fleisch und Blut abarbeiten, indem sie den Auftrag prüfen und freigeben. Der digitale Anlageassistent, im Fachjargon martialisch als Robo-Advisor bekannt, wird während dem Beratungsgespräch mit dem Kunden an einem Bildschirm von einem Kundenberater bedient. Banken bedienen also in erster Linie die Wünsche ihrer Kunden. In die Prozesse dahinter hat die Digitalisierung bislang nur sehr beschränkt Einzug gehalten.
Also nicht anders als bei der Einführung des Onlinebankings vor 30 Jahren. Auch damals gaben Kunden an einem - für damalige Verhältnisse - schicken Bildschirm ihre Zahlungsaufträge ein. Im Backoffice stand ein Drucker, der die Zahlungsaufträge auf Papier druckte. Daraus hat sich ein Mitarbeiter bedient und den Zahlungsauftrag des Kunden in der Zahlungsverkehrsanwendung der Bank erfasst.
Und hier liegt der Hase im Pfeffer! Je
schneller die Hintergrundprozesse modernisiert werden, umso grösser wird der
Hebel sein, ein "digitales" Produkt end-to-end schneller, effizienter
und performanter zu machen als der Mitbewerber. Angewendet auf die vielen
anderen, teils antiquierten Prozesse in einem Finanzinstitut, kann der Einzug
neuer, disruptiver Technologien ein Vorteil sein, den wachsenden Kosten durch
Regulierung, Bussen etc. entgegenzutreten.
Wobei wir wieder beim Ursprungsthema sind:
Blockchain-Technologie. Um beim Vergleich mit dem Schwert zu bleiben;
Blockchain ist für mich eher ein Stiefelmesser. Gezielt eingesetzt kann diese Technologie dabei
helfen Prozesse zu automatisieren - sicher, nachvollziehbar, unveränderbar. Im Trade Finance oder beim Settlement
von Wertschriftentransaktionen ist Blockchain eine interessante Technologie. Das zeigen
aktuelle Projekte bei verschiedenen Finanzinstituten. Jedoch muss diese
Technologie integer bleiben. Sogenannte Weiterentwicklungen wie sie kürzlich
von einem grossen Beratungshaus vorgestellt wurden, wobei Transaktionen in der
Chain auch verändert werden können/dürfen, werden die Attraktivität schnell
schmälern.
Blockchain
ist also ein
Thema für Banken, wird aber sicher nicht über Leben und Tod unserer
Finanzindustrie entscheiden.
Dass es die Blockchain bereits in die
Tagespresse geschafft hat, zeigt wie diskussionswürdig sie ist. In meinen Augen
wird ihr derzeit jedoch zu viel Beachtung geschenkt. Wenn die Digitalisierung
auf ganzer Linie Erfolg bringen soll, braucht es eine ganzheitliche
Betrachtung, bedarfsgerechte Lösungen und Weitblick bei der Wahl der richtigen
Lösung. Es gilt die Chancen, die das digitale Schwert mit sich bringt, zu
erkennen und zielgerichtet zu nutzen. Der Fokus muss auf der Durchgängigkeit liegen.
Technologien sind dabei als Tools aus einem Baukasten zu betrachten.
Quergedacht hat für Sie Marco Vosseler.
#DigitalFinance #Blockchain #Regulierung #Digitalisierung #quergedacht
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