Wir wagen zu Jahresbeginn einen Blick auf das sich in China im Aufbau befindende digitale Gesellschafts-Bewertungssystem. (Als Grundlage für die nachfolgenden Überlegungen diente ein Artikel aus Der Spiegel).
Bis heute hatten wir in unserem Leben hier in der Schweiz mit hoher Wahrscheinlichkeit Berührungspunkte mit der Super- oder Cumuluscard eines Grossverteilers (vgl. TA-Bericht), oder mit dem bei der Wohnungssuche unerlässlichen Betreibungsregisterauszug. Bald aber könnte es vielleicht auch hier ein omnipräsentes Bewertungssystem geben, das die Handlungen von jedem und jeder von uns permanent ratet. In die Echtzeit-Bewertung einfliessen sollen nicht nur Spuren, die wir beim Einkauf hinterlassen oder wenn wir einer Zahlungsaufforderung lange nicht nachkommen. Das Bild, das durch das System vom Menschen geschaffen wird, durchleuchtet uns und unser Handeln tief und wird zum neuen „Gewissen der Gesellschaft“.
China ist dabei ein solches Rating-System für seine Bürger aufzuziehen. Jedermann lässt sich darüber rasch auf seine „Fehlbarkeit“ hin prüfen. Gespeist wird diese neue, digitale Klassifizierung durch sämtliche Datenspuren, die wir als Individuen hinterlassen. Damit sind nicht nur unsere Posts in den Sozialen Medien gemeint oder die Geschwindigkeit in der wir unsere Rechnungen bezahlen, sondern alles, was über uns in irgendeiner Form erfasst werden kann. So könnten Bewerbungsgespräche bald schon der Vergangenheit angehören, denn das Punktesystem weiss mehr über uns als jedes Gespräch zum Vorschein bringen kann. Hierbei stellt sich die Frage, ob mit dem Punktesystem die Menschlichkeit verloren geht.
Auf den ersten Blick bietet das System einige Vorteile. Während wir uns heute bei potenziellen Geschäftspartnern auf deren Ruf, ein paar wenige Facts und vielleicht einen persönlichen Eindruck verlassen müssen, können wir künftig sekundenschnell einen Blick auf die Punktestatistik des Bewertungssystems werfen und wir wissen Bescheid. Das System zeigt uns, wer integer ist und wer nicht. Denn es berücksichtigt das Vorstrafenregister genauso wie die Zahlungsmoral, die ausgewerteten Gesundheitsdaten gleichwohl wie Einkaufsgewohnheiten und Sportaktivitäten oder die Ausbildung. Ein angemessener eigener Punktestand öffnet einem Tür und Tor für Heirat, Karriere und zur Upper-Class, denn wer punktet ist attraktiv. Wer viele Punkte hat gilt mehr als nur als Gutmensch. Dieses System hat das Potenzial, die gesellschaftlichen Schichten zu revolutionieren und manch einem zu Chancen zu verhelfen, die er oder sie bisher nicht erhalten hatte, weil die guten Taten schlichtweg nicht auf diese Art bewertet wurden. Für die Wirtschaft und auch für den Staat ein scheinbar ausserordentlich nützliches Tool. Aus ethischer Sicht ist es jedoch mehr als fragwürdig. Bis zum heutigen Zeitpunkt fehlt dem System jegliche Transparenz. Niemand weiss richtig, wie und was bewertet wird. Genaue Informationen von China diesbezüglich erfahren zu wollen bleibt wohl ein unerfüllter Wunsch. Klarheit wird man ansatzweise wohl frühestens nach der Einführung erlangen können. Welches Verhalten wird belohnt und welches bestraft? Und vor allem: wer entscheidet darüber?
Wir freuen uns über Ihre Kommentare, Einschätzungen und Gedanken zu der Idee eines digitalen Bewertungssystems. Wer sind die Gewinner, wer die Verlierer?
So oder so, ein besserer Mensch kann man auch mit eigenen guten Vorsätzen fürs neue Jahr werden, dazu braucht es das digitale Gewissen nicht. Wir wünschen Ihnen einen guten Start ins 2018 und freuen uns auf inspirierende Begegnungen.
Für Sie gebloggt hat Matthias Hungerbühler
#Digitalisierung #DigitalIdentity #GewissenDerGesellschaft #KYC #eGesellschaft #SmartRobotic
Die Verlierer eines solchen Ratingsystems werden diejenigen sein, welche versuchen, sich solch einem permanenten Screening zu entziehen. Je weniger über eine Person bekannt ist, je schlechter wird das Rating sein oder je grösser ist die Skepsis gegenüber so jemanden. Stellt sich die Frage, wer Herr über seine eigenen Daten ist. Man selbst, oder "das System".
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